
Momiji - Herbstfärbung

In den tiefen Bergen,
ruft der Hirsch so flehentlich
auf Ahornblättern ...
Die Wehmut seiner Stimme
macht den Herbst umso trister ...
(Übersetzung: Gesandter Ryuta Mizuuchi)
Okuyama ni
Momiji fumiwake
Naku shika no
Koe kiku toki zo
Aki wa kanashiki
(Sarumaru Dayu)
So beschreibt der Dichter Sarumaru Dayu (bzw. Taifu), der im 8. Jahrhundert gelebt haben dürfte, was viele der äußerst naturverbundenen Japaner beim Anblick der herbstlichen Färbung des Laubes empfinden: Bei herbstlichen Ausflügen in die Natur - momiji-gari genannt - erfreuen sich die Menschen am Anblick der wunderbar rot oder gelb gefärbten Blätter - das Wort momiji bezeichnet einerseits den Ahorn, dessen Blätter sich im Herbst tiefrot färben, andererseits steht es aber auch allgemein für buntes Herbstlaub oder Herbstfärbung -, sie sind sich jedoch schmerzlich bewusst, dass diese Pracht nur von kurzer Dauer ist. Das Wissen um die Vergänglichkeit der Schönheit lässt die Menschen die Natur und ihre Schönheit umso intensiver erleben, ruft jedoch auch ein Gefühl von Traurigkeit und Melancholie hervor.

Wie sein Pendant im Frühjahr, hanami, bei dem in Ausflügen die blühende Natur bewundert wird, vor allem die Kirschblüten, die mit dem Leben selbst - schön, jedoch vergänglich - verglichen wurden, war momiji-gari zunächst eine beliebte Freizeitbeschäftigung der Aristokratie in der Heian-Zeit (794-1185), die Bootsfahrten auf Teichen in den Gärten ihrer Villen oder Ausflüge in die Berge zum Betrachten des Herbstlaubs unternahm. Auch in der japanischen Dichtkunst hielt die Natur und mit ihr hanami und momiji Einzug. Obiges Gedicht ist dem Hyakunin Isshu entnommen, einer im 13. Jahrhundert zusammengestellten Sammlung von hundert Gedichten von hundert Dichtern.
Auch im Genji Monogatari (Die Geschichte vom Prinzen Genji), dem ältesten überlieferten, vollständigen Roman und einem der herausragendsten Werke der japanischen Literatur, wird ein Ausflug des kaiserlichen Hofes in die nahen Hügel zur Bewunderung des Herbstlaubs beschrieben. Erste Erwähnung findet das Werk, das die wertvollste historische Quelle für das Verständnis der Literatur, der Künste, der Unterhaltung und anderer Formen der japanischen Kultur in der damaligen Zeit darstellt, im Tagebuch der Verfasserin Murasaki Shikibu am 1. November 1008. Entsprechend wird das heurige 1000-Jahr-Jubiläum in Japan auch mit unzähligen Veranstaltungen begangen ([Webseite nicht mehr verfügbar]). Zudem wurde das einzige, dem Genji Monogatari gewidmete Museum in der Stadt Uji, Präfektur Kyoto, einer Renovierung unterzogen (The Tale of Genji Museum). In der Region um Uji, dem Hauptschauplatz der letzten zehn Kapitel des Genji Monogatari, hatten zahlreiche Adelige der Heian-Zeit ihre privaten Villen und die Gegend war beliebt für Bootsausflüge und Ausflüge zum Betrachten der wunderbaren Herbstfärbung.
In der Edo-Zeit (1600-1868) begannen dann auch einfache Bürger, den Brauch des momiji-gari zu übernehmen und heute noch nutzen viele Japaner die Herbstzeit, um Orte zu besuchen, die für ihre prachtvolle Herbstfärbung berühmt sind.
Foto: Der Kiyomizu-Tempel im Herbst (Foto: Japan Photo Encyclopedia / Bon Color Photo)